Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen für den Fachhandel
Peter Lips ist Managing Partner bei Lips, Pantenburg & Partner in Bergisch Gladbach. Die Gesellschaft berät mittelständische, inhabergeführte Unternehmen in der strategischen Unternehmensentwicklung und der betriebswirtschaftlichen Unternehmenssteuerung. Lips verantwortet den Bereich Strategieberatung und den Branchenschwerpunkt Healthcare. Er leitet Erfahrungsaustausch-Gruppen von Unternehmen und trainiert Führungskräfte. Im Interview gibt der versierte Berater eine Einschätzung zu aktuellen Entwicklungen in der Sanitätshausbranche und mit welchen Strategien der Fachhändler am Markt auch in Zukunft erfolgreich ist.
Herr Lips, welche sind die aktuellen Trends für den Sanitätsfachhandel?
„Wir haben in der Branche einen deutlichen Trend zur Konsolidierung. Es gibt eine steigende Zahl an Unternehmensübergaben und Unternehmenskäufen. Erkennbar ist, dass die großen Unternehmen noch größer werden, weiter filialisieren und kleinere Wettbewerber übernehmen. Kleinere Unternehmen verschwinden vom Markt. Zweitens bieten viele Unternehmen nicht mehr den gesamten Produktbereich an. Das wird insbesondere durch die Ausschreibungen vorangetrieben, zum Beispiel im Reha-Bereich. Da nur die Ausschreibungsgewinner die Lieferungsberechtigung der Krankenkassen haben, werden andere Unternehmen von der Versorgung in einzelnen Bereichen ausgeschlossen. Das führt zu einer Zersplitterung in der Branche und dazu, dass der eine oder andere seinen Vollsortiment-Ansatz nicht mehr umsetzen kann. Als dritten Trend beobachten wir bei Verbrauchern eine erhöhte Preissensibilität – auch bei den Zuzahlungen. Der aufzahlungsfreie Markt wächst überproportional, wenngleich noch auf geringem Niveau. Das führen wir darauf zurück, dass der Kunde vom Online-Markt, den er von vielen anderen Lebensbereichen kennt, lernt, preissensibler zu werden.“
Dennoch zeigen Studien, dass die Deutschen immer mehr in ihre Gesundheit investieren.1 Welche Chancen sehen Sie daher für die zukünftige Entwicklung dieser Branche?
„Ich glaube, dass die Gesundheitsbranche und speziell auch der Hilfsmittelbereich ein Wachstumsmarkt bleibt. Das liegt zum einen an dem allgemein steigenden Gesundheitsbewusstsein der Menschen, zum anderen an dem demografischen Wandel und den immer älter werdenden Menschen, die einen höheren Hilfsmittelbedarf haben. Insofern sehe ich große Chancen für die Branche und bin zuversichtlich, dass wir eine positive Marktentwicklung haben werden.“
Gibt es spezielle Herausforderungen, denen sich der Fachhandel stellen muss?
„Die Qualität der Beratung und die Dienstleistungsorientierung müssen viel stärker ausgeprägt werden, als es heute oft der Fall ist. Ein Beispiel: Ein Fachhändler aus einem Sanitätshaus berichtete mir, dass in der Kompressionstherapie die Haut besonderer Pflege bedarf. Er bietet deshalb den Patienten zu den Kompressionsstrümpfen zusätzliche Pflegeprodukte an, die gegen juckende oder trockene Haut helfen. Der Fachhändler sollte die Bedürfnisstruktur seiner Kunden folglich ganzheitlich betrachten. Das geschieht noch zu selten. Der Fachhändler sollte zudem Instrumente einsetzen, die seine Kompetenz beim Kunden erhöhen wie digitale Messinstrumente oder interessante Erlebniswelten, die die verschiedenen Sinne der Kunden ansprechen. Eine Herausforderung ist es auch, wenn ein wesentlicher strategischer Geschäftsbereich stagniert oder rückläufig ist, beispielsweise derzeit bei rundgestrickten Kompressionsstrümpfen. Momentan überdeckt das Wachstum des Flachstrickbereichs diese Entwicklung im Rundstrickbereich, sodass das nicht so beachtet wird. Die Sanitätshäuser, die diese Entwicklung jetzt schon bemerken und reagieren, sind im Vorteil. Auch das Thema Folgeversorgung ist noch nicht ausgereizt. Hier kann der Fachhandel die Kunden noch mehr aktivieren und sie unterstützen. Wenn ich als Patient von meinem Versorger proaktiv erinnert werde, dass mir eine Überprüfung der Wirksamkeit meiner Strümpfe zusteht, empfinde ich das als tollen Service. Aus meiner Sicht überlebt am Ende das Sanitätshaus, das aktiv den Markt bearbeitet und intensive Arztarbeit betreibt. Hierbei sollte der Handel auch die Informationsangebote der Hersteller nutzen.“
Kundenbindungskonzept
Machen Sie aus Besuchern Stammkunden
Bieten Sie Ihren Kunden einfach und effektiv einen Top-Service. Ein wesentlicher Baustein ist die regelmäßige Versorgung. medi unterstützt Sie dabei, aus zufälligen Besuchern oder Erstkäufern begeisterte Stammkunden zu machen.
Facebook für das Sanitätshaus
Social Media Unterstützung für den Fachhandel
Soziale Medien wie Facebook bieten viel Potenzial für den medizinischen Fachhandel, eigene Informationen zu streuen, zu denen sich die User austauschen können. Nutzen Sie die Möglichkeiten des Empfehlungsmarketings mit Facebook, um Ihre Aktionen bekannt zu machen. medi unterstützt Sie gerne dabei.
Auch Discounter und Online-Shops bieten vermehrt Produkte für den Bereich Gesundheit an. Wie geht der Fachhandel am besten damit um?
„Wichtig ist, sich mit dem Discount- und dem Online-Bereich auseinanderzusetzen und sich zu überlegen, wo man sich voneinander differenziert und auf welche Stärken man setzt. Den Online-Handel wird es auch in der Zukunft geben. Daher muss sich ein Fachhändler fragen, was der Online-Handel wirklich besser kann und worauf er selbst sich als Fachhändler konzentriert. Das heißt, er sollte sein Profil schärfen, damit er sich vom Online-Handel abhebt. Meiner Meinung nach muss der Fachhandel in den klassischen Bereichen Beratung, Dienstleistungsqualität und Produktauswahl stark sein und dort ansetzen. Andererseits sollte der Fachhandel sich auch überlegen, ob es Bereiche gibt, in denen ein aufzahlungsfreies Produkt zum Erfolg führen kann.“
Wie beurteilen Sie den Trend im Einkaufsverhalten vieler Händler, die Anzahl der Lieferanten zu verringern? Welche Vorteile hat das?
„Die Reduktion der Lieferanten ist grundsätzlich ein Vorteil. Für die Mitarbeiter ist es einfacher, eine hohe Beratungskompetenz aufzubauen, wenn sie sich auf weniger Lieferanten und Produkte konzentrieren können. Ihre Produktkenntnisse sind dadurch besser. Weitere Vorteile sind effizientere Prozesse und bessere Konditionen.“
Nach welchen Kriterien sollte der Fachhändler seine Lieferanten auswählen?
„Die Grundfrage ist immer: Wer bringt mich bei meiner Strategie am besten voran? Ein Fachhändler sollte sich auch fragen, wer ihn bei der regionalen Marktentwicklung und bei der Nutzung von Marktchancen unterstützt. Außerdem spielt es eine wichtige Rolle, welcher Lieferant ihm bei der Differenzierung der Produkte hilft und mit wem er die beste Wirtschaftlichkeit für sein Unternehmen erzielt. Bei der Wirtschaftlichkeit ist zu beachten, dass nicht nur auf die Prozentwerte der Rabatte geachtet wird. Auch der Rohertrag beziehungsweise Stückdeckungsbeitrag in Prozent ist trügerisch. Was bedeutet schon 60 Prozent Rohertrag? Am Ende lebt der Handel von Euro-Erträgen. Der Handel muss sich also die Frage stellen: Mit welchen Produkten welches Lieferanten kann ich nach Abzug der Konditionen oder nach Addition möglicher Eigenanteile den besten Stückdeckungsbeitrag in Euro erzielen? Dass der Fachhandel günstig einkaufen will, ist logisch und sinnvoll. Wichtig ist aber, die Rechnung bis zum Ende durchzuführen und nicht bei den Prozentwerten aufzuhören.“
Welche Empfehlung geben Sie dem Fachhandel bei dem Thema „aufzahlungsfreie Produkte versus Eigenanteil“?
„Ich denke, dass es für die meisten Händler richtig ist, in eine Premiumstrategie zu investieren, sich also als Unternehmen mit Premiumprodukten und Eigenanteilen zu positionieren. Man sollte den Eigenanteil aber immer transparent darstellen können, zum Beispiel mit einem Leistungspaket aus Produkteigenschaften, Beratung, Qualität, Dienstleistung, Service und Kulanzverhalten. Der Kunde muss den Mehrwert bei den Eigenanteilsprodukten gegenüber den aufzahlungsfreien Produkten verstehen. Dann kann der Fachhändler den Eigenanteil auch beim Kunden durchsetzen. Generell kann man als Unternehmen sowohl mit einer Zwei-Segment- als auch mit einer Drei-Segment-Strategie2 erfolgreich sein. Wichtig ist, dass die Mitarbeiter die unterschiedlichen Segmente voneinander differenzieren können und dies in ihrer Beratung berücksichtigen, damit sie erfolgreich verkaufen.“
Lohnt es sich für Fachhändler also nicht, nur Kassenprodukte ohne einen zu zahlenden Eigenanteil abzugeben?
„Nur auf Kassenprodukte zu setzen, ist für einen Fachhändler grundsätzlich eine falsche Strategie. Es gibt sicher ein Marktsegment für eigenanteilsfreie Produkte. Wenn ich als Fachhändler jedoch auch in Zukunft Erfolg haben möchte, muss der Schwerpunkt in Produkten mit wirtschaftlicher Aufzahlung liegen, die mir eine entsprechende Marge, also Rohertrag in Euro, ermöglichen und mit der ich in den Markt investieren kann.“
Wo sehen Sie den Fachhandel in zehn Jahren?
„Der Konsolidierungstrend wird sich sicherlich weiter fortsetzen. Das heißt, es gibt größere Unternehmen mit mehr Niederlassungen. In mittelständischen Unternehmen wird es darauf ankommen, Spezialisierungen zu finden, in denen sie besonders gut sind und sich besonders um ihre Kunden kümmern können.“
Welche Entwicklungen erwarten Sie noch seitens der Hersteller medizinischer Hilfsmittel?
„Ich hätte zwei Wünsche: Erstens sollte in die Differenzierung zwischen Basis- und hochwertigen Produkten mit Eigenanteil investiert werden. Ist das Angebot inklusive Services und Kulanz zwischen den Segmenten auch noch aufeinander abgestimmt, ist es für die Patienten transparenter. Die Differenzierung kann aber auch in den Premiumsegmenten stattfinden, indem nach Anwendungsgebieten oder Nutzungsmöglichkeiten unterschieden wird. Generell ist sie notwendig, damit ein Fachhändler Produkte mit Eigenanteil verkaufen kann. Mein zweiter Wunsch ist die Investition in die Markterweiterung, vor allem in die Arztarbeit. Denn was passiert, wenn weder der Handel noch die Industrie die Allgemeinärzte informieren? Die Anzahl der ausgestellten Rezepte wird stagnieren oder zurückgehen, wie wir es heute teilweise im Rundstrickbereich schon sehen. Das kann weder das Ziel des Handels noch der Industrie sein.“
Was ist aus Ihrer Sicht bei der Arztinformation beziehungsweise der regionalen Arztbetreuung zu tun?
„Die Industrie muss dafür sorgen, dass die Therapie bestimmter Indikationen mit den jeweiligen Hilfsmitteln beim Arzt präsent ist und verstanden wird. Das passiert über Anzeigen, Infobriefe oder Mailings und vor allem über die regionale Betreuung des Arztes durch den Außendienst. Der Handel sollte sich wiederum als regionaler und kompetenter Ansprechpartner bei diesen Ärzten positionieren, beispielsweise über Schulungen des Praxisteams.
Die professionelle regionale Arztbetreuung und Arztinformation ist meines Erachtens eine zentrale, gemeinsame Aufgabe von Handel und Industrie in der Zukunft. Sie verläuft im Idealfall Hand in Hand.“
Herr Lips, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Quellen:
1 Woratschka, R. Jeder neunte Euro für die Gesundheit; 2017. Online veröffentlicht unter: www.tagesspiegel.de/politik/ausgaben-steigen-rasant-jeder-neunte-euro-fuer-die-gesundheit/19424050.html (letzter Zugriff 23.08.2017)
2 Je nach Produktgruppe sind in der Handelslandschaft verschiedene Zusammensetzungen der Produktportfolios zu finden. Dabei werden Produkte unterschiedlicher Preisebenen angeboten. Im medizinischen Fachhandel sind unterschiedliche Ausprägungen zu beobachten. Zum Beispiel werden in der Produktgruppe 17 (Hilfsmittel zur Kompressionstherapie) häufig neben einer aufzahlungsfreien Variante (nur gesetzliche Zuzahlung) mindestens eine Preisebene (= Zwei-Segment-Strategie), zwei (= Drei-Segment-Strategie) oder noch weitere Preisebenen über einen privaten Eigenanteil der Patienten geführt.
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